Vilsbiburg und die Bausteine-Aktion: Krankenpfleger und Kommunalpolitiker Martin Priller erinnert sich
„Ich habe für dieses Haus gebrannt und mein Herz hängt noch immer daran“, reminisziert Martin Priller seine 32 Jahre andauernde Zeit im Krankenhaus Vilsbiburg. Zunächst als Krankenpfleger, später als Stationsleiter der Internen Abteilung und stellvertretender Pflegedienstleiter, erlebte Priller „sein“ Krankenhaus schließlich auch in großer Unsicherheit und öffentlicher Infragestellung. Der Altbau des Hauses nahe der Maria-Hilf-Wallfahrtskirche in der oberen Vilsbiburger Stadt hatte in den 70er Jahren seinen Zenit bereits weit überschritten, drei bis sieben Pflichtversicherte türmten sich pro Stationszimmer. Ein Neubau des Funktionstraktes und die Sanierung des Bettentraktes waren für die weitergehende Perspektive des Standorts vonnöten, doch waren finanzielle Mittel rar und die Zahl der kritischen Stimmen, die die Schließung oder Marginalisierung des Krankenhauses forderten, wuchsen. Doch sowohl Landrat Hans Geiselbrechtinger als auch Bürgermeister Josef Billinger waren überzeugt vom immateriellen Wert der Versorgung im südlichen Landkreis Landshut und riefen so eine einzigartige Aktion ins Leben.
3,5 Millionen Mark – Vilsbiburg als Geburtsort des Fundraisings
„Diese Aktion hat uns getragen und Euphorie entfacht. Sogar meine beiden älteren Söhne wollte den Erhalt des Krankenhauses unterstützen und zeichneten für 50 D-Mark je einen Baustein“, blickt der ehemalige Stadtrat und Kreisrat des Landkreises Landshut mit großem Stolz zurück. Was war geschehen? Die Bevölkerung des Altlandkreises Vilsbiburg, der 1972 im Zuge der Gebietsreform aufgelöst und mit Ausnahme dreier Gemeinden in den neuen Landkreis Landshut aufgenommen wurde, hatte unglaubliche 3,5 Millionen Mark zusammengetragen, um die notwendigen Um- und Neubauten am Krankenhaus Vilsbiburg vorzufinanzieren. Alle Kreditinstitute des Altlandkreises hatten an der sogenannten „Bausteine-Aktion“ teilgenommen und ihren Kunden angeboten, das Krankenhaus mit ihrem Ersparten zu unterstützen. Jedoch nicht nur in Form bloßer Spenden, sondern mittels attraktiver Anreize: Fünf Jahre nach Einzahlung der Summen erhielten die generösen Bürger Vilsbiburgs und der Umgebung ihr Geld verzinst wieder zurück. Denn Förderungen aller Art wogen die vorfinanzierten Millionen mittelfristig auf und die kluge Anlage des Gemeinvermögens gab den Unterstützern sogar etwas zurück. Dieser clevere Schachzug von Landkreis, Stadt und Kreditinstituten sicherte letztlich die Realisierung des Großprojektes und die berufliche Heimat vieler leidenschaftlicher Schwestern, Ärzte und Pfleger wie Martin Priller.
Schweißnaht auf die Wunden der Vergangenheit
Allerdings lässt sich die überwältigende Summe keineswegs nur mittels mittelfristiger finanzieller Anreize begründen. Vielmehr versinnbildlichten die Bausteine die tiefe regionale Verwurzelung des Krankenhauses und seiner Bürger. „Wachsen kann nur, was Wurzeln hat. Ebenso wie das Haus musste sich die Stadt erst emporarbeiten. Zudem waren die Wunden der Gebietsreform noch frisch, noch immer bestanden Verunsicherung und Empörung. Viele fragten sich speziell nach dem Bau des Krankenhauses Landshut-Achdorf, ob es nun mit dem Kahlschlag in Vilsbiburg weiterginge. Schließlich waren viele kleinere Häuser wie in Velden oder Geisenhausen in den vorangegangenen Jahren geschlossen worden. Doch das Konkurrenzdenken und der Argwohn schweißten uns zusammen, nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die stolze Bevölkerung“, erörtert Martin Priller, der die Entwicklung des Standorts bis heute aufmerksam verfolgt und trotz seines Ausscheidens 1996 auf den Fluren des Krankenhauses Vilsbiburg noch immer erkannt und freudig empfangen wird, den Zeitgeist. Dieser schlug sich beispielsweise in einer 900 Personen zählenden Bürgerversammlung zum Krankenhaus Vilsbiburg nieder. Die Stadt zählte zu dieser Zeit lediglich 9500 Einwohner.
Selbst Franz-Josef Strauß war beeindruckt
Der beispiellose Zusammenhalt und Einsatz der Vilsbiburger für „ihr“ Krankenhaus blieb auch überregional nicht unbeachtet. Sogar Ministerpräsident Franz-Josef Strauß zeigte sich tief beeindruckt von der Bausteine-Aktion und seinen bayerischen Mitbürgern und war so sowohl zum Spatenstich 1982 als auch zur feierlichen Eröffnung 1986 persönlich zu Gast. „Es herrschte eine angespannte und zugleich feierliche Stimmung in der gesamten Stadt. Die Reden der Verantwortlichen vermittelten uns eine positive Perspektive und machten etwas mit uns“, wich die über ein Jahrzehnt bestehende Unsicherheit aus Martin Prillers Heimat-Krankenhaus. Denn tatsächlich war und ist das Krankenhaus Vilsbiburg für viele Mitarbeitende mehr als nur ein Arbeitsplatz. Es ist eine Heimat, die auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst nicht vergeht. „Es hängt noch immer mein Herz an diesem Haus. Ich denke immer wieder gerne an die guten Zeiten hier zurück und es tat weh, aus gesundheitlichen Gründen nicht bleiben zu können“, wird der ehemalige Kommunalpolitiker und leidenschaftliche Fürsprecher des Krankenhauses Vilsbiburg bei der gedanklichen Reise zurück abschließend auch ein Stück wehmütig.
Vilsbiburg bewahrte sein Krankenhaus vor der Schließung, Millionen von Mark wurden kurzfristig und selbstlos aufgebracht, persönliche Planungen zurückgestellt und vieles dem Gemeinwohl untergeordnet: Denn Krankenhäuser sind auch ein Ort lokaler und regionaler Identifikation, sie geben Halt und bieten in peripheren Gebieten besondere Menschlichkeit, die auch über 40 Jahre nach der Vilsbiburger Bausteine-Aktion fortwährt und dennoch stetig infrage gestellt wird.
Als Symbol der Unterstützung erhielten Bürger, die einen Baustein für das Krankenhaus Vilsbiburg zeichneten, einen Anhänger.