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Klinik Wartenberg

Wenn ein Satz mehr sagt als tausend Worte – Ein Moment aus der tiergestützten Therapie.

An diesem Dienstagnachmittag war alles wie gewohnt.Die Therapiehündin Rosi war zu Besuch in unserer Klinik – ein besonderer Gast. Für viele unserer Patienten ist es das „Highlight“ der Woche. Frau L., eine ältere Dame mit fortgeschrittener Demenz, saß wie so oft still da. Ihre Antworten bestanden meist nur aus einem knappen „Ja“ oder „Nein“. Ganze Sätze? Fehlanzeige. Sie wirkte verschlossen, fast abwesend. Worte schienen irgendwo in den Tiefen ihres Vergessens verloren gegangen zu sein.
 

Diese kleinen, besonderen Momente sind es, die zeigen, was tiergestützte Therapie bewirken kann.

Dann begann das Gemeinschaftsspiel mit der Therapiehündin. Es war simpel und doch voller Bedeutung: Jeder hielt ein Ende eines Seils in der Hand, mit dem gemeinsam ein Deckel von einem Spielbrett auf dem Boden hochgehoben werden sollte. Darunter: ein Leckerli für Rosi. Die Herausforderung lag darin, koordiniert zusammen zu arbeiten. Doch zunächst traute sich niemand, das Kommando zu übernehmen. Unsicheres Zögern: Wer sagt jetzt was?

 

Und dann plötzlich und unerwartet: Der arme Hund kann nicht so lange warten, sondern braucht etwas zu fressen. Daher müsst ihr an der Schnur ziehen, damit der Deckel aufgeht". Frau L., die so lange in sich gekehrt war, sprach. Ein vollständiger Satz! Es war, als hätte Rosi einen Zugang zu Frau L. gefunden. Vielleicht war es eine Erinnerung an einen eigenen Hund, der in ihrem Langzeitgedächtnis noch lebendig war. Vielleicht war es einfach der Moment, der sie durchdrang – doch was auch immer es war: Frau L. war plötzlich überraschend klar und geistesgegenwärtig. Und das war noch nicht alles: Bei einer später stattfindenden Übung hatte sie Schwierigkeiten, die Aufgabe alleine zu bewältigen. Wieder war die Hündin Rosi an ihrer Seite. Und mit einem Lächeln sagte Frau L. leise: „Gell Mädel, gemeinsam schaffen wir das.“ 

Ein Satz, zart und liebevoll. Und irgendwie auch ein Versprechen. Denn tatsächlich – sie schaffte es. Und am Ende waren beide zufrieden: Frau L. und Rosi. Diese kleinen, besonderen Momente sind es, die zeigen, was tiergestützte Therapie bewirken kann. Es ist weit mehr als Beschäftigung. Es ist Begegnung – auf Augenhöhe. Tiere urteilen nicht. Sie fragen nicht nach Diagnosen oder Einschränkungen. Sie sind einfach da. Und manchmal ist genau das der Schlüssel, um Menschen wieder ein Stück weit zu öffnen, ihnen ein Stück Lebensfreude zurückzugeben.

Ich erlebe es immer wieder: Patienten, die lächeln, obwohl ihnen gerade nicht zum Lächeln zumute ist. Patienten, die sprechen, obwohl sie lange geschwiegen haben. Hände, die sich ausstrecken, obwohl sie sich sonst nicht bewegen. Und manchmal – wie bei Frau L. – erleben wir kleine Wunder.

Angelika Meier, Ergotherapeutin